1/29/2016

Hausarrest

Die Kleine Dame hat Bindehautentzündung. Am Dienstag habe ich sie mit matschigen Augen aus der Kindergruppe abgeholt. In der Apotheke haben wir Augentropfen besorgt, Augentrost und ne Tüte Gummibärchen zur Bestechung und sind nachhause gefahren. Die Kleine Dame flippt seit ihrem Gipsbein bei jeder Art von Medikamentengabe aus. Total. Sie brüllt, hält sich die entsprechende Körperöffnung zu und wenn ich es trotzdem geschafft habe, die Tropfen reinzutröpfeln weint sie große Tränen, um die böse Medizin wieder auszuscheiden. Die Bestechungsgummibärchen isst sie trotzdem. Ach, ich hatte mir vermutlich mit Gemüsechips (der Spott des Liebsten war mich sicher) den Magen verdorben und wurde nachmittags von Migräne heimgesucht. 
Was ich eigentlich erzählen wollte: seitdem ich bei Susanne neulich darüber gelesen habe, dass sie jeden Tag ihres Alltags MIT Kind lebt, weil ihr Sohn nicht in die Krippe geht, denke ich darüber nach, wie das bei uns so wäre. Einfach nur ein Gedankenspiel. Da kam unser krankheitsbedingter Hausarrest als Experimet gerade gut passend: 

Mittwoch:

Ich muss dringend einen Vertragsentwurf fertig machen, dafür etwa zehn Emails lesen, schreiben, Antworten verarbeiten. Die Kleine Dame und das Küken spielen zehn Minuten zufrieden. Die erste brüllt, die zweit hat Hunger. Dank Unterstützung meiner Brust und des Fernsehers bekomme ich diese Aufgabe irgendwie hin. Zu diesem Zeitpunkt, etwa zehn Uhr sind beide Kinder angezogen. Ich nicht. Duschen? Was hab ich gerade im artgerecht-Baby-Buch gelesen. Frisch geduscht sein ist nicht immer wichtig. Okay. Katzenwäsche. 
Dann ist für die Kleine Dame um 11.30 Uhr schon Mittagessenszeit. Der Große Junge kommt erst um 14.30 Uhr aus der Schule, den muss ich beim Kochen auch mitdenken. Blick in den Kühlrschrank, Mangold, Nudeln, Käsesoße. Die Kleine Dame ist natürlich nur die Nudeln. 
Was machen wir jetzt?  Ich muss eigentlich noch mal an den PC, keine Chance, das machen die Mädchen nicht mit und ich will nicht schon wieder den TV bemühen...also Haushalt, Wäsche waschen, saugen, Müll raus, das bekommen wir zusammen hin.
Wir könnten ja die weißen Unterhosen und Unterhemden der Kleinen Dame bemalen. Mir scheint es mehr Spaß zu machen, als dem Kind. Als wir fertig sind, weint sie: "Das soll wieder ab.". Tolles Projekt. Der Große Junge kommt aus der Schule, isst, macht Hausaufgaben, geht zu einem Freund. Es ist erst drei Uhr. Okay, spielen im Kinderzimmer. Ich kann das nicht und fange an aufzuräumen. Zwei Mädchen motzen, ich wünsche mich in ein Büro, in dem ich ungestört einen Text schreiben kann oder ein Seminar vorbereiten kann. Nee, jetzt muss ich erstmal Holzpommes essen, Kugelbahn spielen und mit Tommy, Annika, Pippi, dem Kleinen Onkel und Herrn Nilsson ausreißen. Juchu.
Ob sie es merken, wenn ich mich kurz aufs Klo schleiche. Ja. MAMA! Ich muss Pipi. 
Irgendwie schaffen wir es nochmal Augentropfen in die weniger matschigen Augen zu tröpfeln. Dann gehen wir noch kurz ein paar Sachen einkaufen, mit dem Kinderwagen an der Hauptstraße entlang. Naja, aber immerhin frische Luft und der Hund ist auch mit dabei. Auf dem Parkplatz treffen wir die liebste Tante, die gerade vom Wohnungsrenovieren zurück kommt. Ich schiebe schnell den Gedanken weg, dass sie samt Baby und Mann bald weit weg wohnt. Wir gehen nachhause,  der Liebste kommt nachhause, der Große Junge auch. Abendessen. Abendroutine. Betti-Konfetti. Ich bin groggy und schaue mir die Teenie-Mütter in der Glotze an. Und denke drüber nach, ob ich wirklich irgendwann noch ein Kind will. 


Donnerstag
Mir geht es besser, der Regen verzieht sich und die Sonne scheint. Juchu, wir können spazieren gehen. Und ein paar Erledigungen einholen. Also, nach dem Frühstück darf die Kleine Dame vor die Glotze, das Küken, das gerade zum Rollmops wird, wird in der Pikler-Kiste geparkt und ich gehe duschen. Einen Tag ohne geht, aber am zweiten fühle ich mich unwohl. Nachdem dann alle nochmal eine Windel bekommen haben bzw. auf dem Klo waren, laufen wir los. Die Sonne scheint, wie wunderbar. Im Drogeriemarkt holen wir unser Weihnachtsfotobüchlein ab und freuen uns. Wir kaufen versaute Schoko-Reiswaffeln und diese eingeschweißten Salamis, nach denen meine Familie süchtig ist und laufen los. In der Apotheke nochmal Augentropfen kaufen. Brüllanfall. Nur beim Sehen der Packung. Ich bin ratlos. 
Ab nachhause. Mittagessen. Mama, ich will Nudeln. Na dann, bitte. Der Liebste ist den ganzen Tag weg. Der Große Junge geht nach der Schule zum Papa. Ich bin müde, weil ich zwei Kinder einmal durchs Städtchen auf den Berg zurück geschoben habe. Die Kleine Dame darf kneten, ich chille vor meiner liebsten Schrottserie auf dem Sofa und sammele Kraft. KAFFEE! SCHOKOLADE! Es geht weiter. Wir lesen der Kleinen Dame liebstes Buch "Pippi außer Rand und Band" und hören 1000mal "DIE SPINNE MARTHA" gesprochen von Oliver Steller. Es klingelt an der Tür. Es ist eine ehemalige Arbeitskollegin, die Fotos abholen will. Die Kleine Dame: Spielst du mit mir?
Das Küken fremdelt. Nachdem sie weg ist, bringe ich die Kinder ins Bett. Beim Lesen bekomme ich Halsschmerzen. Koche mir also Tee, lutsche Salbeibonbons und kuschle mit dem Baby auf dem Sofa. Der Liebste kommt heim und will mir von seinem Tag berichten. Ich bin bedient. Wir essen zusammen TK-Pizza und ich nehme dann doch noch eine Tablette gegen die Halsschmerzen. Die Nacht ist furchtbar, die Kleine Dame brüllt.MAMA. PAPA. MAMA. PAPA.  Irgendwie schlafen wir dann doch noch bis 6.30 Uhr. Dann: Papa, du sollst bei uns bleiben....

Freitag
Wir haben Routine, immerhin sind die Kinder schon angezogen, wir haben gemeinsam gefrühstückt und der Fernseher ist aus geblieben. Während ich im Schlafanzug diesen Text schreibe hat die Kleine Dame sich die Hände gewaschen und nur die Ärmel ihres Pullis nassgemacht. Dann hat sie die Öko-Kiste ausgeräumt. Mal sehen, was mich gleich erwartet und das Küken liegt im Stubenwagen und beschäftigt sich lauthals selbst. Ich will gleich duschen und dann gehen wir wohl irgendwie raus aus dem Haus.


Fazit: Wäre die Kleine Dame in die Krippe gegangen, dann hätte sie weder morgens Fernsehen geschaut, noch mit ihrer gelangweiten Mutter spielen müssen. Sie hätte viele unterschiedliche Lieder gesungen, wäre lange spazieren gegangen und dabei selbst gelaufen, sie hätte mit ihrer Freundin gespielt, irgendwie toll gemalt und wer weiß was noch gemacht. 

Ich hätte in der Zeit meine Aufgaben erledigen können, die ich nun irgendwie so nebenbei machen muss, wäre zum Yoga gegangen und hätte vermutlich wesentlich weniger gemotzt über Gematsche beim Essen, dass die Kleine Dame das Küken in Ruhe lassen muss und vielleicht hätte ich auch keine Halssschmerzen bekommen.

Meine Tochter liebt ihre Kindergruppe und ihre Bezugserzieherin, und das empfinde ich als großes Glück. Denn ich liebe meine Kinder. Sehr. Aber alles mit ihnen gemeinsam zu erledigen finde ich sehr sehr anstrengend, vor allem die Schreibtischarbeit, die ich leider auch in der Elternzeit habe. Wenn unsere Krippe nicht so toll wäre, dann würde ich das sicher auch hinbekommen, denn ich finde es unerlässlich wichtig, dass die Betreuungsgqualität stimmt. Doch ich bin froh, dass meine Tochter diese Erweiterung zu unserem Familienleben erleben kann. Ich vertraue den Erzieherinnen, dass sie ihren Job gut machen und erlebe bei meinem Kind, dass sie das tun. Sonst würde sie nicht jeden Morgen beim Aufstehen fragen: Gehe ich heute wieder in die Kindergruppe.

Wenn ich die Entlastung durch die Betreuungszeit der Kleinen Dame nicht hätte, wäre ich sehr viel unglücklicher. Und das ist ja für die Kinder auch nicht gut. Es geht nicht nur immer um die Kinder, sondern auch um uns Eltern. Auch unsere Bedürfnisse sind wichtig, denn wenn wir uns nicht gut fühlen, können wir auch mit unseren Kindern keine gute Zeit verbringen.

MAMA, ich hab dem Küken ein Stück Orange gegeben....ich geh mal schauen!

Schönes Wochenende