3/15/2017

Das Biest in mir

Ich habe meine Kinder fallen gelassen. Natürlich nicht absichtlich. Beide Mädchen sind krank. Die Kleine Dame fieberte zwei Tage lange. Alles tat ihr weh. Sie konnte nicht selbst laufen. Bei allem, was ihr missfiel brüllte sie ohrenbetäubend und markerschütternd. 
Das Küken hatte seit ihrem Pseudo-Krupp-Anfall vor zwei Wochen eine fiese Erkältung und war total verrotzt. Ich hatte das Gefühl, bei ihr etwas zu übersehen. Aber meist war sie doch gut gelaunt.
Am besagten Tag war ich zur ersten Stunde in der Schule, das heißt ich habe um 7.15 Uhr das Küken in der Krippe abgegeben und bin nach Marburg gedüst, um dort zu unterrichten. Da ich am 24.3. meinen zweiten Unterrichtsbesuch habe, bin ich dann direkt wieder nachhause, um mich in der kinderfreien Zeit an den Schreibtisch zu setzen. Arbeiten, damit ich nachmittags ganz bei den Kindern bin. Anruf aus dem Waldkindergarten. Die Kleine Dame hat in den Morgenkreis gekotzt und schläft. Ohne den Schreibtisch gesehen zu haben, fahre ich also in den Wald und hole sie ab. Sie fiebert. Ich bin bei ihr, versorge sie. Der Mann holt das Küken ab, auch sie ist nicht ganz fit. So undefnierbar maulig und anhänglich. Wir wurschteln uns durch den Tag. Der Große Junge wird zur Patentante gefahren, um Yoga zu machen. Wieder zuhause: Abendessen. Der Liebste muss zur Stadtverordnetenversammlung. Ich will die Kinder in den ersten Stock bringen, um sie bettfertig zu machen. Ich denke mir: erst trage ich die eine hoch, dann die andere. Vor der Treppe: beide brüllen. Egal welche ich abstelle und darum bitte, zu warten. Gebrüll. Tränen. Klammern. Okay, denke ich, ich bin stark. Ich kann zwei Kinder, die zusammen etwa 25 Kg wiegen, die Treppe hochtragen. Mache ich häufiger. Die Kinder brüllen auf meinen Armen weiter, ich will schnell raus aus der Situation, sie beruhigen. Bin gedanklich schon im Wickelzimmer. Da passiert es. Ich stolpere. Die Kinder fallen auf die Treppe. Die Kleine Dame auf ihre Beine. Das Küken knallt auf den Hinterkopf. Weint. Lässt sich schnell beruhigen. Ist irgendwie zu ruhig. Ich rufe den Liebsten an, er reagiert nicht. Liest aber die Nachricht und kommt. Telefoniert mit dem Notdienst, fährt in die Klinik.
Ich kümmere mich um die Kleine Dame und versuche mich zu beruhigen. Nachrichten aus der Klinik, das Kind ist munter. 
Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Fieberkind zum Kinderarzt, im Wartezimmer unterhalten wir uns darüber, dass wir erschöpft sind, die Belastung zu hoch. 
Ich weiß einfach nicht, wie ich alles schaffen soll. Kinder, Job, Haushalt, Engagement. Der Mann fragt, wie er noch mehr unterstützen kann. Dabei sehe, ich wie müde er ist. Volle Stelle an der Schule, zuhause hilft er, wo er kann, dann noch Vereine und Politik.
Meine beste Freundin redet mir ins Gewissen. Genau hinzuschauen, was ich noch weglassen kann. Das Referendariat zu unterbrechen. Mich aufs wesentliche zu konzentrieren. In mir tobt es. Das Biest in mir WILL ALLES SCHAFFEN. RICHTIG GUT MACHEN. Die Ausbildung jetzt ist eine großartige Chance. Verbeamtung, 100%tige Übernahmgarantie in einem Job, den ich mag. Alternativen sind nicht so berauschend. Der Mann redet von Lebensstandard, Hauskauf, Urlaub. Ich sage ja. Weiß, dass er recht hat. Aber. Ich fühle mich so kraftlos. Das Biest in mir zeigt seine hässliche Seite. Ich reagiere auf alles nur noch pampig, laut, unsensibel. Meine Familie leidet unter mir. Das Biest fordert Schokolade, Gummibärchen um sich zu beruhigen. Ich schaue in den Spiegel und bin traurig. Auf twitter läuft  #einmonatimkleid. Ich würde gerne mitmachen, sehe aber in allen Kleidern dick aus. Keine Lust auf diese "Ah, sie ist wieder schwanger-Blicke". Ich wäre so gerne schlank, schaffe es einfach nicht, mich zu beherrschen. 
Dieses Biest macht mir Bauchschmerzen. Wo ich hinschaue, sehe ich Arbeit, Aufgaben, Verantwortung. Fühle ich mich überfordert und werde hastig, fahrig und unwirsch. Egal wie viel Yoga ich mache, das Biest ist stärker.

Am Ende, schaffe ich es alles immer irgendwie. Den Unterricht gut vorzubereiten, meine Aufgaben in der Elterninitiative, der Stiftung. Irgendwie Ordnung herzustellen. Mit meinem Sohn Zeit zu verbringen. Mit meinen Kindern liebevoll umzugehen. Freundschaften zu pflegen. Mit meinem Mann eine Beziehung zu führen. 
Aber die Hauptarbeit ist es, das Biest in mir, die ständigen Selbstzweifel, das permanente Gefühl zu versagen, soweit im Zaum zu halten, das ich der Mensch sein kann, der ich will. Liebes Biest, lass mich in Ruhe. Ich brauche meine Kraft für alles andere.





 


2 Kommentare:

  1. Liebe Katharina,
    bitte pass gut auf dich auf! Gibt es für dich die Möglichkeit, das Referendariat in Teilzeit weiterzumachen? Das ist eine Überlegung wert, finde ich. Was ist schon ein Semester mehr?
    Ich bin schon mal unter Erschöpfung zusammen gebrochen und das hat mich am Ende fast ein Jahr "gekostet".
    Wie auch immer: Ich wünsche dir, dass du, dass ihr einen guten Weg findet! Bald sind Ferien!
    Alles Gute! ❤

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  2. Danke! Ich bin schon in Teilzeit. Es geht um den Alltag. Wir arbeiten an Lösungen. ..


    Es aufschreiben tat schon gut!

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