Einige meiner Studierenden aus der Fachschule für Sozialwesen haben Essays zum Thema Bindung geschrieben. Die Gruppe hat sich in einem Vorkurs bei einem Bildungsträger bereits mit dem Thema beschäftigt, ich knüpfe nun daran an und war interessiert, was ihnen dazu einfällt bzw. wie sie sich positionieren. Frau Becker hat ausgehend von ihren Erfahrungen als Mutter ihr Wissen als angehende Fachkraft verknüpft und einen, wie ich finde, sehr gelungenen Text abgegeben. Sie zeigt darin, das eine neue Generation Erzieherinnen in den Fachschulen ausgebildet wird, die sich darüber bewusst sind, wie wichtig "in Beziehungen" Aufwachsen für Kinder ist. Die Gesellschaft muss sich allerdings dazu bereit erklären, die Bedingungen in den Einrichtungen so zu gestalten, dass dies auch umgesetzt werden kann. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, im Sinne aller Kinder, die in Kitas und Krippen betreut werden und damit die Menschen dort gut arbeiten können!
Mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis teile ich heute also den Essay von Carmen Becker mit euch.
Brauchen unsere Kinder mehr Bindung und emotionale Sicherheit für eine gesunde Entwicklung? Ein Essay
Die Schlafzimmertür
öffnet sich leise und eine kleine Gestalt schiebt sich vorsichtig in den Raum.
Ich schiele zur Uhr, 3.15 Uhr, sie ist wieder pünktlich, die kleine Maus. Unsere
vierjährige Tochter geht vorsichtig zum Fußende des Bettes und klettert hinein.
Sie kuschelt sich zwischen uns und schläft sofort wieder ein. Seit der Geburt
der kleinen Schwester, die wegen Platzmangel vorrübergehend das
Elternschlafzimmer mitbewohnt, schläft Ann-Kathrin nicht mehr alleine und wir
akzeptieren, dass sie den Rest der Nacht bei uns schlafen darf. Ich drehe mich
auf die Seite und denke nach. Verwöhnen wir sie zu sehr? Bindet sie sich zu
sehr an mich? Muss unsere Tochter lernen mit der Frustration klarzukommen, das
die Schwester, aber nicht sie bei uns schlafen darf und was bedeutet das für
ihre weitere Entwicklung? Sollten wir ihr mit Konsequenzen und Strafen drohen
und was würden die Erzieherinnen in der KiTa dazu sagen?
Eigentlich wissen wir
doch intuitiv was unsere Kinder brauchen und auch unsere Kinder kommen mit dem
instinktiven Bedürfnis zur Welt sich zu binden. Warum lassen wir uns so
verunsichern und wenden eher irgendwelche Methoden aus Büchern an anstatt
unserem Instinkt zu vertrauen dessen Wurzeln in unserer Evolution verankert
sind? Einige Thesen, über die es sich nachzudenken lohnt, hat meiner Meinung
nach Prof. Dr. Gordon Neufeld, ein Entwicklungspsychologe aus Kanada
aufgestellt. Er plädiert dafür den Behaviorismus zu überwinden und weist nach,
dass dieses System kontraproduktiv ist. Er beruft sich auf Pestalozzis
Sichtweise und zeigt auf, das Bindung nicht nur für Kleinkinder von entscheidender
Bedeutung ist, wie das in der Bindungsforschung, zum Beispiel von Sir John
Bowlby vor allem betont wird, sondern für uns Menschen ein Leben lang das
zentrale Bedürfnis bleibt. Die Furcht vor dem Verlust unserer Bindungen
beeinflusst unser ganzes Leben. In der Vertrauenspädagogik gibt es einen
Leitsatz den wir verinnerlichen sollten: „Die wichtigsten Dinge im Leben kann
man weder einfordern noch erzwingen: Das Vertrauen, die Liebe und letztlich
auch nicht den Gehorsam. Sie sind die Frucht der Bindung.“ Befolgt man die
Regeln der Bindungsforschung gibt es eigentlich keine Probleme. Also ist es
doch nicht so schlimm, wenn unsere Tochter lieber bei uns schläft anstatt in
ihrem eigenen Bett, oder bin ich ein Blödmann, weil ich mich auf die
Bedürfnisse unseres Kindes einlasse?
Aber ich finde das Allerwichtigste für ein
Kind ist doch die Kontinuität, dass es eine Bezugsperson hat der es ohne Wenn
und Aber vertrauen kann, bei der es das Gefühl hat das ihm nichts passieren
kann. Bringen wir nicht seit einigen Jahren unsere Kinder von klein auf in Situationen,
in denen ihre zentralen Bezugspersonen (Eltern, Großeltern) für sie nicht
erreichbar sind? Von den stellvertretenden erwachsenen Bezugspersonen
(Erzieherinnen, Lehrkräfte) wird die Dynamik des kindlichen Bindungsinstinktes
unterschätzt, zusätzlich sind sie durch zu große Gruppen und Klassen
überfordert und können das nicht leisten. Aus diesen Gründen kann es vorkommen,
dass sich unsere Kinder ihre Bezugspersonen unter Gleichaltrigen suchen. Doch
was können Gleichaltrige von Gleichaltrigen lernen? Binden sich die Kinder an
ihre Peers, dann haben sie kein Interesse mehr daran die Werte und Fähigkeiten
ihrer Eltern und Lehrer zu übernehmen. Der kulturelle Transfer bricht zusammen.
Unter Umständen kann die Reifung zu echter Selbstständigkeit durch diese
fehlgeleiteten Bindungen verhindert werden und die Kinder können ihr Potenzial
nicht entfalten. Haben wir bald eine Generation von ewigen Jugendlichen? Ich
lege mich auf den Rücken und beschließe auf meine Intuition zu vertrauen,
Kinder brauchen sichere, funktionierende Beziehungen in denen sie sich geborgen
fühlen, nur so können sie zu starken Persönlichkeiten heranreifen.
Quellen
Der Neufeld Ansatz für
unsere Kinder – Dagmar Neubronner
Mehr als Liebe? Die
besondere Bindung zwischen Eltern und ihrem Kind -
Lisa Balihar, Carolin
Büdel, Scarlett Henning, Julia Klemm, Mareike Lüdke, Eva Nitschke
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