Meine Mutter war
alleinerziehend mit drei Kindern von drei verschiedenen Vätern. Unsere Väter waren unterschiedlich stark engagiert,
materiell und persönlich. In meiner Klasse gab es noch ein anderes Mädchen,
deren Mutter auch alleine für sie und ihren Bruder sorgte, die Frau arbeitete
in einem Discounter. Auch wenn meine Mutter und sie ganz unterschiedlich waren,
so verband sie etwas. Sie waren die „Anderen“ auf den Elternabenden, es waren
die frühen 90ziger und in der Kleinstadt waren Alleinerziehende noch Exoten. Wir hatten ein altes, rostiges Polizeiauto,
keine Einbauküche, keine neuen Klamotten, kein eigenes Haus. Die Mutter des Mädchens begleitete uns auf
Klassenfahrt, ich fand das toll. Meine Mutter hätte das nie gemacht. Jahre
später habe ich darüber nachgedacht, dass sie es vermutlich gemacht hat, um zu
zeigen, dass sie sich ebenso engagiert wie die anderen Eltern. Und vielleicht
weil es ihre Möglichkeit für Urlaub war. Meine Mutter hat sich immer
weitergebildet, keine Oma in der Nähe, die uns mal nahm…sie war vermutlich sehr
dankbar, dass ich mal eine Woche verreisen konnte und sie „nur“ ein Kind zu
versorgen hatte.
Diese beiden Frauen haben
mein Bild von Alleinerziehenden sehr geprägt. Die Angst, dass die Kinder, also
wir, irgendwie auffällig sind und das Jugendamt kommt und uns wegnimmt.
Deswegen musste es bei uns immer superduperordentlich sein. Auch wenn unsere
Möbel alle vom Sperrmüll waren, schaffte es meiner Mutter, dass es schön
eingerichtet war. Aber wehe, mein Ranzen stand im Weg oder die Küche war
unordentlich. Die Verzweiflung, wenn wir für einen Wandertag 15 Mark mit in die
Schule bringen sollten oder die Hallenschuhe für den Schulsport schon wieder zu
klein waren. Die Erschöpfung, wenn meine Mutter am hellichten Tag einfach am
Küchentisch einschlief oder sie uns für zwei Stunden aus dem Haus aussperrte,
weil wir Kinder uns stritten und sie keine Kraft mehr hatte. Die Falten, die ob der Verantwortung, die sie
allein zu tragen hatten, tiefe Spuren in ihren Gesichtern hinterließen: Wieviel
Freiheiten darf ein Mädchen mit 13 Jahren haben? Welche Schulform ist die Richtige?
Krankheiten: Als ich im ersten Schuljahr
an einer Lungenentzündung erkrankte und sechs Wochen zuhause bleiben musste,
machte meine Mutter gerade ihr Abitur nach. Nachdem die Kinderärztin
mitbekommen hatte, dass ich zuhause alleine war, lud sie mich zu sich ein, wo
sich ihr Kindermädchen um mich kümmerte.
Mein Mann ist diese Woche
für drei Tage auf Klassenfahrt. Ich bin alleine mit drei Kindern, 13, 4 und 2
Jahren, dem Hund, unserem Haus, unserer Baustelle, meiner Arbeit als Lehrerin
und Referendarin, meinem Ehrenamt. Oft habe ich von Frauen, deren Mann auf
Dienstreise ist, gehört: „Hach, diese Woche bin ich alleinerziehend. Das ist ja
so furchtbar.“. Ja, es ist anstrengend, wenn du als einzige Erwachsene den
Tagesablauf organisieren musst, die einzige Ansprechpartnerin für „ Ich hab
groß und klein gemacht“ aus dem Bad gleichzeitig sucht das Küken ihren Schnuller
und der Große Junge will jetzt sofort Hilfe bei den Hausaufgaben. Abendessen, Bett
bringen, Wäsche, Küche, Einkauf… Doch: heute Abend kommt mein Mann nachhause.
Er ist dann wieder da, als Ansprechpartner für die kleinen und großen Fragen
der Kinder und meinerseits. Ich musste in dieser Zeit keine schwierigen
Entscheidungen treffen, ich kann mich mit ihm beraten, die Verantwortung teilen
wie wir mit den Problemen auf der Baustelle umgehen oder den Bisswunden des Küken.
Ich hatte in dieser Zeit keine Existenzsorgen, denn ich konnte einfach
einkaufen gehen, Lebensmittel und auch ein paar Klamotten, ohne dass wir am
Ende des Monats Nudeln mit Soße essen werden. Er wird keinen Ton darüber sagen,
dass ich natürlich nicht das Pensum geschaffte habe, was ich mir vorgenommen
hatte für meine Facharbeit zu schreiben. Er wird sich mit den Kindern
beschäftigen und ich kann mir ein paar Stunden eine Auszeit nehmen. Das ist ein
großer, ein riesengroßer Unterschied. Dessen bin ich mir so sehr bewusst und
deswegen versuche ich die Alleinerziehenden in meinem Umfeld zu unterstützen wie
ich es leisten kann. Ein Netzwerk, das hab ich von meiner Mutter gelernt, ist
für alle Familien unerlässlich. Für Familien mit einem Erwachsenen kann es lebensnotwendig
sein. Schaut hin, hört zu, ladet ein. Es geht nicht um Almosen, sondern echte
Bereitschaft, jemanden zu unterstützen, zu der niemand nach ein paar Tagen
nachhause zurück kommt und sie fragt: „Wie geht’s dir?“ Ihr zuhört und sie dann
morgens ausschlafen lässt und den Wocheneinkauf übernimmt.
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