Frustration

Die Kleine Dame übt seit Wochen das Aufstehen und seit ein paar Tagen das Laufen. Wir nehmen sie nicht an die Hand, fordern sie nicht auf, sich hinzustellen oder auf uns zu zulaufen. Wir nehmen teil an ihrer Auseinandersetzung mit ihrem Körper und der Schwerkraft. Wir freuen uns mit ihr, wenn es gelingt und trösten sie, wenn sie sauer ist, weil ihr etwas nicht gelingt. Wir erklären auch all unseren Freunden, der Familie und auch den Erzieherinnen in der Krippe, dass wir ihr ermöglichen wollen in ihrem eigenen Zeitfenster das Laufen zu lernen. Allen scheinen verständig.

Heute Mittag im Garten. Die Kleine Dame steht auf und nimmt meine Hand. Ich erkläre ihr, dass sie alleine laufen darf, wenn sie dazu bereit ist. Sie lässt sich auf den Popo plumpsen und beginnt bitterlich zu weinen. Einige Mal versucht sie mich dazu zu animieren, ihr meine Hand als Stütze zu leihen, damit sie laufen kann. Sie ist wütend. Traurig. Frustriert. Und ich bin es auch. Ich erkläre ihr wieder und wieder, das sie es alleine kann. Und irgendwann hat sie sich wieder beruhigt, schnappt sich ihren Spiel-LKW und schiebt ihn auf Knien durch den Garten und ist wieder froh. 

Was ist passiert? Letzte Woche auf dem KinderKinoFest,  ich war kurz auf dem Klo, die Kleine Dame ließ ich in der Obhut eines guten Freundes. Auch er wusste, das wir sie nicht an die Hand nehmen. Als ich nach 5 Minuten wieder bei den beiden war, lief die Kleine Dame mit einem breiten Grinsen an den Händen des Freundes über den Kinovorplatz. Ich hab es nicht übers Herz gebracht, es zu unterbrechen. Sie wirkte so glücklich. Und dem Freund konnte ich leider auch nicht sagen, dass ich das ganze nicht gut finde. Doch das Ergebnis dieser und vermutlich in der Krippe auch stattgefundener Handlauf-Versuche ist, das die Kleine Dame nun total darauf fixiert ist, sich eine Hand zum Laufen zu suchen anstelle darauf zu vertrauen, dass sie es selbst schaffen kann. Da wurde ihr etwas gezeigt, was sie bis dahin nicht kannte. Wie zum ersten Mal Schokoade essen. 

Natürlich kann ich verstehen, dass sie laufen will. Doch das selbsterarbeite Laufen hat eine ganz andere Qualität als Laufen an der Hand. Bei allem was sie selbst schafft, erlebt sie, das ihrer Anstrengung ein Ergebnis folgt, das sie selbst bewirkt hat. Sie lernt das selbstständige Lernen - in der Beziehung zu uns. Wir begleiten sie bei all dem, beschreiben was wir sehen und freuen uns mit ihr. Insbesondere beim Laufen geht es auch um eine körperliche Qualität: das Aufstehen und Laufen aus eigener Kraft geht nur, wenn die Füße fest auf dem Boden verankert sind, der Körper ins Gleichgewicht gebracht und damit auch die nötigen Muskeln in Fuß, Beinen und Rücken aufgebaut sind. Beim Laufen an der Hand muss sie nicht die Mühe aufbringen, sich mit der Schwerkraft auseinanderzusetzen, mit dem Fuß sicher auf der Erde zu stehen und auch der Rücken wird nicht selbstständig gestärkt. Und sie lernt, dass sie andere braucht, um etwas zu bewirken. Sie lernt Abhängigkeit wo es keine geben muss.

Ich hoffe für die Kleine Dame, das sie wieder dahin kommt zufrieden damit zu sein, was sie selbst kann und einfach weiter dran zu bleiben, an dem was sie gerade beschäfigt.

Was hat euch in letzter Zeit frustriert? Wie geht ihr damit um?